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Bücher über kleine, große und fremde Welten

Die Kurzhosengang

Snickers, Zement, Island und Rudolpho – hinter diesen coolen Namen verbirgt sich die noch coolere Kurzhosengang. Vier kanadische Jungs, die gern Horrorfilme gucken und auch im wahren Leben vor nix Angst haben. Mit viel Witz, Liebe und auch ein wenig Melancholie erzählt jeder von ihnen eines ihrer gemeinsamen Abenteuer. Hierfür haben Victor Caspak und Yves Lanois die Jungs in ihrer fernen Heimatstadt extra besucht und interviewt. Doch ob es die beiden Autoren und ihr Interview wirklich gibt ist ebenso rätselhaft wie der Wahrheitsgehalt der vier Geschichten. Letztendlich ist beides egal, denn dem Lesevergnügen tut es keinen Abbruch.

Vier gewinnen

Im fernen, immer kalten Kanada ticken die Uhren anders. Da muss man sich durchbeißen, Härte beweisen und niemals klein beigeben. Umso besser, wenn man in dieser rauen Umgebung Freunde hat, auf die man sich wirklich verlassen kann. So wie die vier der Kurzhosengang, die sich schon seit Ewigkeiten kennen und niemals ohne einander ins Kino gehen würden. So sind sie fast nie allein, wenn sie in eines ihrer vielen Abenteuer stürzen –und zögern dann keine Sekunde.

Dabei sind die vier Jungs so unterschiedlich wie die vier Jahreszeiten: Snickers, der Abenteurer und Fährtenleser weiß immer, wo es langgeht, Rudolpho ist eigentlich pausenlos verliebt und das nicht immer in nur ein Mädchen, Island vermisst seinen Vater, der einfach nicht mehr da ist, und Zement ist immer etwas langsamer als die anderen – wofür er allerdings einen guten Grund hat, wie der geneigte Leser später erfährt. Vielleicht machen die Unterschiede zwischen ihnen ihre Stärke aus: Jeder ist in etwas anderem besonders gut und alle zusammen sind sie demnach unschlagbar.

Bösewichte …

Eine Gang wie die „Short Ones“, wie sie im Original (angeblich) heißen, braucht natürlich einen würdigen Gegenspieler. In ihrem Fall und ihrer Kleinstadt ist es die Pauligang: Fünf mehr oder weniger tumbe Jungs (mit den schönen Namensersatzbezeichnungen Pauli eins bis Pauli fünf), die mehr oder weniger stark und gefährlich sind und der Kurzhosengang das Leben schwer machen. Wo die Feindschaft anfing, ist nicht ganz klar, aber wo sie aufhört schon: niemals und nirgendwo! Doch wie James Bond weist auch die Kurzhosengang ihre Gegner immer wieder in ihre Schranken.

Nach einer gewonnen Schlacht gönnen sich die Helden gern mal eine ordentliche Portion Pancakes bei Lei To und gehen – sofern Samstagnachmittag ist, das ist Bedingung – ins Kino. Und das Leben der vier könnte ewig so weiter gehen …

… Ruhm …

… doch dann wird aus vier normalen Jungs die im ganzen Land berühmte Kurzhosengang. Und wie es dazu und zu ihrem zugegeben merkwürdigen Namen kam, sollen sie am besten live vor einer Fernsehkamera in Toronto erzählen. Also legt jeder der vier los und heraus kommen unglaubliche Geschichten, in denen es wahrlich um Leben und Tod geht. Sie jagen einem Wolf den Eishockeypuck ihrer Lieblingsmannschaft ab, entbinden ein Kind im Schnee und beim gemütlichen Videoabend steht plötzlich ein Bär in ihrer Küche. Die Jungs bleiben immer cool wie Eiswürfel. Doch der Mutigste und Stärkste unter ihnen ist eigentlich der stille Zement – warum, wird hier allerdings nicht verraten.

… und Jägerlatein

Das Buch nimmt es mit der Wahrheit nicht ganz genau. Das ist von Anfang an klar und daher überhaupt nicht schlimm, sondern im Gegenteil: Es erhöht den Spaßfaktor ungemein. Die beiden Autoren, die mit ihren Namen nicht nur auf dem Titel prangen, sondern auch noch ein dick gelogenes und unverschämt  amüsantes Vorwort abliefern, gibt es gar nicht. Das darf hier getrost verraten werden, es steht sowieso überall. Der „Übersetzer“ (der natürlich keinen Bissen übersetzt hat, die Originalsprache des Buches ist deutsch) Andreas Steinhöfel (s. Die Mitte der Welt, Rico, Oskar und die Tieferschatten) liefert dem eigentlichen Autor Zoran Drvenkar ein paar denkwürdige Fußnoten und man hat beim Lesen irgendwie das Gefühl, dass er auch noch mehr getan haben könnte.

Die Geschichte um die Entstehung der Kurzhosengang wird aus den vier Perspektiven der Jungs erzählt – jeder berichtet von einem anderen, unglaublichen Abenteuer. Jede Erzählung ist auf ihre Weise absurd und lustig, hat aber auch ihre melancholischen bis traurigen Momente. Darin liegt die Stärke des Buches: Hinter dem ganzen Spaß und den haarsträubenden Plots verbirgt sich die Geschichte von Elfjährigen, die langsam erwachsen werden – ob es ihnen gefällt oder nicht. So cool sie auch tun, sie haben durchaus offene Augen und Ohren für die Probleme um sie herum. Island vermisst seinen verschwundenen Vater so sehr, dass er manchmal mit ihm spricht, obwohl er nicht da ist. Zement würde manchmal gern allen anderen erzählen, warum er immer so langsam ist und hinter allen zurückbleibt. Und alle zusammen haben ein bisschen bis sehr viel Angst davor, in die Welt ihrer Eltern treten zu müssen, die ihnen so gar nicht reizvoll, sondern sehr gefährlich erscheint.

Fazit

Was soll ich noch sagen, das Buch ist prima; schön und nachdenklich und gleichzeitig zum Schreien komisch. Ein kurzweiliges Vergnügen, das man auch getrost zwei- bis dreimal lesen kann. Die vier Jungen habe ich sofort ins Herz geschlossen und über die anderen (eigentlich nicht minder skurrilen) Bewohner der kleinen Stadt wollte ich immer mehr erfahren. Die Sprache ist flott, aber nicht doof und die Fußnoten sind teilweise echt originell und gespickt mit lustigen Insidern (Serienfans werden sich bestimmt über den Hinweis auf das Ausflugslokal Chez Nick freuen, dessen Besitzer Dale Cooper hervorragenden Kaffee anbietet …). Besonderen Spaß werden überdies vermutlich diejenigen haben, die die Kanadier schon immer ein bisschen „weird“ fanden. Einen zweiten Band gibts übrigens mittlerweile auch schon. Ebenfalls nicht schlecht, aber an Teil eins kommt er (wie es so oft der Fall ist) einfach nicht ran.

Interessiert? Hier die Fakten:

Titel Die Kurzhosengang
Autor Victor Caspak, Yves Lanois (eigentlich aber Zoran Drvenkar)
Seiten 208
Ausstattung Taschenbuch
Verlag Carlsen Verlag
Jahr 2004

 


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