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Bücher über kleine, große und fremde Welten

Monsieur P. ist neugierig

Hercule-Poirot-Statue an einem Haus in Ellezelles in Belgien. Foto: lumixbx/Wikimedia Commons

So könnte er aussehen, der Belgier mit dem großen Bart und den kleinen, grauen Zellen, die ihm bei der Aufklärung seiner Fälle helfen: Hercule Poirot

Hercule Poirot ist Agatha Christies Pendant zu Sherlock Holmes: Ein kleiner, gedrungener Mann mit einem riesigen Schnurrbart, immer adrett und sauber gekleidet. Ein großer Geist und intelligenter Mensch, ganz wie sein „Kollege“ aus der Baker Street. Aber welch ein Unterschied: Der zwillingsartige, hyperaktive Holmes und der akribische und immer ordentliche Belgier, die geborene Jungfrau mit seinem scharfen Intellekt und seiner Bescheidenheit (obwohl er natürlich weiß, dass er der Beste ist …)

Ein Heldenabschied

In „Monsieur P. ist neugierig“ hat Hercule Poirot beschlossen, seine Karriere zu beenden. Er will sich zurückziehen und Kürbisse züchten – ihnen endlich etwas Geschmack ins Fruchtfleisch bringen. Abends, bei einem Glas Wein, sitzen er und sein Bekannter Dr. Burton zusammen und Burton will wissen, wie Poirots Eltern wohl darauf kamen, ihn nach dem Sagenhelden „Herkules“ zu nennen. Dabei stellt sich heraus, dass der Belgier nie „die Klassiker“ gelesen hat – er kennt seinen heroischen Namensvetter nicht.

Das holt er jetzt nach und ist erschüttert über den rohen, tölpeligen und muskelprotzigen Herkules, ist entsetzt über die ganzen Götter mit ihren Straftaten wie Mord, Vergewaltigung, Intrigen etc. Trotzdem setzt sich eine Idee in ihm fest: Er will die Heldentaten des Herkules in seinen letzten zwölf Fällen „abarbeiten“ – und in „Monsiuer P. ist neugierig“ werden die ersten sechs beschrieben.

Löwen sind Pekinesen

In seiner nüchternen Art ist Poirot vollkommen klar, dass er seinem Namensgeber nicht ähnlich ist: Herkules ist groß und muskelbepackt, Hercule klein und ein bisschen rundlich. Herkules arbeitet mit roher Kraft, Hercule mit seinen „kleinen grauen Zellen“. Der Grieche ist grobschlächtig, der Belgier feinsinnig. Allein schon Poirots Wohnungseinrichtung passt überhaupt nicht zu dem Ställeausmister der Antike: modern eingerichtet, chromglitzernd, viereckige Lehnstühle mit strenger Linie – alles ordentlich, sogar die „gute moderne Skulptur, ein Kubus über einem Kubus und einer geometrischen Figur aus Kupferdraht oben drauf“ ist streng linear ausgerichtet. Kein Chaos.

Und so will der schlaue Privatdetektiv auch seine zwölf Fälle lösen: er will sich die Anfragen heraussuchen, die den zwölf Arbeiten des griechischen Helden ähneln. Und so wird der „nemeische Löwe“ ein Fall mit einem entführten Pekinesen. Poirot lässt dabei seine jungfäuliche Fürsorge walten, indem er die Gaunerin schützt (er verrät sie nicht, weil sie als arme Frau ihre Altersvorsorge retten will) und indirekt einen Mord verhindert (den der Auftraggeber an seiner Gattin verüben will – was aber eigentlich gar nichts mit dem Fall zu tun hat).

Die „Lernäische Schlange“ sind die vielen Gerüchte, die einen Dorfmediziner nach dem Tod seiner Frau umschwirren und deren „Köpfe“ der Meisterdetektiv abschlägt. Als „Arkadische Hirschkuh“ fungiert eine russischen Tänzerin, die von einem Automechaniker gelibt wird und ihre Glanzrolle als Hirschkuh hatte.

Da diese Arbeit in der Schweiz endet, entschließt sich Poirot, ein paar Tage in dem Alpenland zu verbrigen und wird hier von Kollegen von der Polizei gebeten, einen „wilden Eber“ zu fangen, einen Gauner erster Klasse, der bisher durch alle Lücken schlüpfen konnte. So wird es nichts mit dem Urlaub und der moderne Herkules findet sein Abenteuer mit dem „Erymanthischen Eber“. Um die „Ställe des Augias“ auszummisten, verhilft er einem Politiker zu einer Ablenkung in einer delikaten Affäre, indem er wie seinerseits der Muskelmann „einen Strom umleitet“, aber natürlich mit den weniger brachialen Methoden des feinsinnigen Detektivs – dafür mit einer hervorragenden Organisation einer Medienkampagne. Und schließlich, es ist fast „Halbzeit“, entlarvt er noch ein betrügerisches Mutter-Tochter-Paar, das einen vertrauensseligen Jungpolitiker abzocken will. So hat der „die Stymphaliden“ gefunden und seinen sechsten Fall gelöst.

Eine ordentliche und genaue Jungfrau

Hercule Poirot ist ein Pedant, schlimmer: ein ordentlicher und sehr genauer und intelligenter Pedant. Glücklicherweise hat er auch ein Herz, auch wenn er das nicht auf der Zunge trägt. Er vereinigt die fleißigen, zuverlässigen und auch fürsorglichen Eigenschaften der Jungfrau in sich. Gepaart mit seiner Zurückhaltung, Intelligenz und seinem Spürsinn hat er die richtigen Voraussetzungen für den Detektivberuf: Er kann sich in seine Klienten und die Verbrecher (zum Beispiel im ersten Fall) hineinversetzen, kann ihnen das Gefühl geben, wie wichtig sie sind. Gleichzeitig sortiert sein Hirn alle Informationen, verwertet sie und knüpft neue Verbindungen. So behält er den Überblick und kommt den Verbrechern meist rasch auf die Spur.

Das macht eine „gute“ Jungfrau aus, die so zwar ihre Macke hat, aber trotzdem liebenswert ist. Manchmal möchte man den Belgier aber auch schütteln. Keine Frau (die ihm wahrscheinlich nur die Wohnung unordentlich machen würde mit ihrer Anwesenheit) und kaum Freunde (die ja von der Arbeit abhalten) – möchte man so leben? „Bleib mal locker“, möchte man rufen – und ist froh, dass diese kleine Jungfrau mit dem großen Bart doch auf die absurde Idee kommt, sich Herkules anzunähern.

Interessiert? Hier die Fakten:

Titel Monsieur P. ist neugierig
Autor Agatha Christie
Seiten 159
Ausstattung Taschenbuch
Verlag Goldmann Taschenkrimi
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Fotos: © Lumixbx/Wikimedia Commons

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