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Bücher über kleine, große und fremde Welten

Die Känguru-Chroniken

„Mein und Dein sind doch bürgerliche Begriffe“, „Der eine hat den Beutel, der andere das Geld“… Mit derartigen Sinnsprüchen zieht das Känguru von gegenüber bei Marc, dem klugen, aber manchmal etwas unmotivierten Kleinkünstler ein. Im Gegensatz zu der seines Mitbewohners ist die Motivation des Beuteltieres klar zu vernehmen: Es will die Welt verbessern und zu diesem Zweck den Kapitalismus abschaffen, Gleichheit für alle einführen und enteignen, was zu enteignen ist. Dass es dabei ab und zu etwas rabiat vorgeht und auch nicht immer im Sinne der Allgemeinheit handelt – nun, letztendlich dient alles der großen Idee des Kommunismus. Oder?

Der Plan der umfassenden Enteignung beispielsweise betrifft vor allem sämtliche Besitztümer Marcs. Ohne selbst etwas beizusteuern, bedient sich das Känguru an allem, was Marc gehört, einschließlich dessen Wohnung. Alles für alle, das ist seine Devise. Wenn es die Wohnung allerdings putzen soll, verweist es gerne mal auf diverse Tierschutzverbände, deren Anhänger es dann nötigenfalls zur eigenen Verteidigung auch aktiviert. Die Folge ist ein shitstorm in Richtung Kleinkünstler mit der Aufforderung, Tiere nicht als Sklaven zu missbrauchen.

Wenn das Känguru richtig in Aktion tritt, demonstriert es vor dem Reichstag, verkloppt Polizisten und beleidigt Richter und Anwälte. Beim Monopoly-Spielen werden spontan die Regeln geändert, so dass es weder Miete noch Steuern gibt, das Gefängnis abgeschafft wurde und Bahnhöfe, Wasser und Gas und eigentlich auch alles andere umsonst ist. Aufgrund nicht näher bekannter Aktivitäten, die irgendwie mit dem Vietcong zusammenhängen, wird es vom Geheimdienst überwacht und ab und zu von Ordnungshütern gesucht. Obendrein ist es Mitglied im „Jüdisch- bolschewistische Weltverschwörung für eine gerechte Weltordnung, für Brot für alle und für die Ächtung von sogenanntem Musikfernsehen e.V.“, den es offensichtlich selbst gegründet hat. Man sieht also: das Känguru meint es ernst.

Grund genug also, die Weltverbesserung mit ein wenig Nachdruck voranzutreiben. Soll heißen: Wer nicht mitmacht, kriegt die Boxhandschuhe zu spüren. Oder wird beschimpft. Oder einfach ausgetrickst. Am Ende jedenfalls hat das Känguru sich und seine Meinung meistens durchgesetzt. Das ist dann übrigens in jedem Fall ein Zugewinn für die Welt, denn seine Ansichten sind ja alle unfehlbar richtig.

Zugegeben, es tun sich hin und wieder – sehr selten – gewisse Widersprüche in der eigentlich kommunistischen Grundhaltung des Tieres auf. Warum sollte sich jemand, der sich für kostenlose Verkehrsmittel und die Abschaffung des abstrakten Wertes Geld einsetzt, eine 0900- Telefonnummer zulegen, um 0,69 Euro die Minute zu verdienen, wenn es angerufen wird? Und natürlich ist es nützlich, wenn der Mitbewohner über DVD-Player, Plattenspieler und eine ec-Karte verfügt, damit man als bewusst mittelloser Beutler darauf zugreifen kann … Doch je mehr Gegensätzlichkeiten das Känguru im Verlauf der vielen Dialoge äußert, desto deutlicher verteidigt es seine Haltung.

Vielleicht ist das sein Geheimnis: Widersprüche in Lehre und Haltung sind kein Problem, solange die gegenwärtige Ansicht mit genug Vehemenz vorgetragen wird. Und so kommen wir endlich zum Wassermann. Dieser ist ja bekannt dafür, sich für das Gute in der Welt einzusetzen, dabei aber durch seinen Dogmatismus andere Ansichten einfach niederzuwalzen, anstatt sie zu reflektieren. Passt irgendwie? Ja, tatsächlich.

Das Känguru vereint in sich den unbedingten Willen, die Welt zu einem gerechten und guten Lebensort für alle zu machen. Dafür kämpft es bis aufs Blut. Dass es dabei seinen eigenen Vorteil bisweilen in den Vordergrund stellt – geschenkt. Wichtig ist für ihn als Wassermann, dass es seine Meinung als die entscheidende betrachtet. Und entsprechend durchsetzt. Hierbei heiligen die Mittel oft genug den Zweck, denn der ist ja über alle Zweifel erhaben. Wie andere das auffassen, ist zweitrangig.

Liebe Wasserleute, weiter so.  Wie ihr sehen könnt, ist die Hauptsache der dogmatische Ansatz in der Darbietung eurer Weltanschauung. Was ihr sagt, ist fast egal, aber setzt es durch. Was die Nicht-Wassermänner angeht … gebt in einer eventuellen Konfrontation um wichtige Themen lieber klein bei. Mit einem blauen Auge ist noch keiner glücklich geworden …

P.S.: Der letzte Satz ist nicht ganz ernstzunehmen – lasst euch von den dogmatischen Wasserwerfern bloß nicht alles gefallen …

🤔😉

 Interessiert? Hier die Fakten:

Titel Die Känguru-Chroniken
Autor Marc-Uwe Kling
Seiten 257
Ausstattung Taschenbuch
Verlag ullstein Verlag
Jahr 2009

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