chairlounge

Bücher über kleine, große und fremde Welten

Hard Land

Südstaatenamerika, Kleinstadt, 1980er Jahre: Der 15-jährige Sam ist Außenseiter, seine Mutter schwer krank, seine ältere Schwester in Hollywood und sein Vater irgendwie nicht richtig erreichbar. Die Schule ist doof, Freunde hat er auch keine, weil – ja, richtig! – Außenseiter. Genau der richtige Zeitpunkt für Sommerferien, in denen sich ein Junge wie er ausgiebig langweilen kann. Aber zum Glück kommt es anders. Durch einen Aushilfsjob im örtlichen Kino findet er Beschäftigung und plötzlich auch noch neue Freunde. Darunter ist auch ein Mädchen, mit dem sogar noch mehr passieren könnte. Oder doch nicht? You’ll never know …

Kleinstädte in den USA leiden in den großen Sommerferien immer unter einer besonderen Art von Hitze. Die kennen wir aus vielen Stephen-King-Romanen, aber auch schon in Wer die Nachtigall stört machte sich diese unangenehme Wärme breit, die einem nicht nur den Schweiß aus den Poren trieb, sondern aus irgendeinem Grund wie ein unheilvolles Vorzeichen wirkte. Sowohl die kindlichen/jugendlichen Held*innen als auch jene, die das Buch gerade lasen, konnten diese Hitze spüren, aber nicht entschlüsseln. Was sie ankündigte, blieb oft bis zum Ende des Romans (oder des Sommers) ungeklärt, unzweifelhaft aber war: es ist eine Veränderung im Verzug. Ein ähnliches Spiel spielt Benedict Wells in seinem Roman Hard Land: ein Junge, ein Sommer und die unbestimmte Vision eines großen „life change“.

Ungemütliche Ausgangslage

Aber fangen wir von vorne an: Sam ist, wie gesagt, 15 Jahre alt und lebt mit seiner Mutter und seinem Vater in einer Kleinstadt in Missouri. Seine Mutter ist an Krebs erkrankt, ihr Gesundheitszustand ist stabil und gleichzeitig ungewiss – zumindest hat es zunächst den Anschein. Sams große Schwester schreibt Drehbücher und hatte unlängst mit einer Serie einen beachtlichen Erfolg. Infolgedessen tritt sie am Telefon und erst recht in persona nur selten im Familienleben in Erscheinung. Sams Verhältnis zu seinem Vater ist nicht unbedingt schwierig, aber auch nicht herzlich. Es ist, als ob eine unüberwindbare Mauer zwischen beiden errichtet wurde und keiner mehr weiß, wer das war. Kurzum ist das eigene Zuhause gerade kein besonders gemütlicher Ort für Sam. Da kommt ihm der Ferienjob gerade recht: Das alte Kino in der Stadt bietet ihm ein wenig Ablenkung in Form von Popcorn verkaufen, Fegen und einer unerwartet netten Clique von Kolleg*innen.

Anfangs tut sich Sam schwer, zu den etwas älteren Jugendlichen, die mit ihm zusammenarbeiten, Kontakt herzustellen. Irgendwann aber bricht das Eis und Sam stellt fest, dass er richtige Freunde gefunden hat: Zwei Jungs, die in der Schule immer unter den Coolen waren, sich aber als sensibel, herzlich und äußerst humorvoll entpuppen. Und Kristie, die er früher immer nur schemenhaft wahrgenommen hat und die ihm plötzlich nicht mehr aus dem Kopf will. Das Dumme an seinen neuen Freunden ist, dass sie die High School gerade abgeschlossen haben und sehr bald getrennte Wege gehen werden. Allen gemeinsam steht demnach ein großer gemeinsamer Sommer bevor, in dem sich vieles ändern wird. Sowohl im Guten wie im Schlechten.

Genre: eindeutig

Ihr merkt es sicher schon: wir sind in einer typischen Coming-of-age-Story gelandet. Sam wird in diesem großen Sommer viel über sich und andere lernen, er wird ERWACHSEN. Dazu verhelfen ihm nicht nur seine Freunde und seine erste Verliebtheit, sondern auch das Schicksal seiner Familie. Wie so oft in dieser Art von Erzählungen meint es der Prozess des Wachsens nicht besonders gut mit ihm: er ist mal süß, mal bitter, mal lustig, aber oft sehr, sehr schmerzhaft. Am Ende der Erzählung fühlt sich Sam ein paar weiteren Herausforderungen des Lebens gewachsen.

Ein weiteres Element dieser Geschichte ist uns auch schon bekannt: es ist die Frauenfigur, die dem Manic Pixie Dreamgirl erstaunlich ähnlich ist. Kristie ist sweet, lustig, verrückt und auf jeden Fall unerreichbar. Auch wenn der Protagonisten manchmal das Gegenteil annimmt. Dadurch entwickelt sich das für diese Figur typische Stop-and-Go-Spiel: die beiden kommen sich näher und entfernen sich wieder, sie entdecken Gemeinsamkeiten und entfremden sich, sie halten Händchen und streiten und so weiter und so fort. Wie so oft ist auch in Hard Land der jugendliche Held bei diesem Spiel eher der passive Part.

Womit wir bei der Kritik angelangt sind: Irgendwie kamen mir die Charaktere bekannt vor. Der Außenseiter, das Pixie Dream Girl, der Sportler, der verhaltende Vater, die kranke Mutter (Elternrollen können gern auch umgedreht werden), der*die abwesende Schwester/Bruder. Sie alle sind (in meiner Erinnerung) irgendwo schon einmal aufgetaucht, wenn nicht in Büchern, dann in Filmen, Serien oder Comics. Ich will damit auch gar nicht sagen, dass die Personen im Buch dadurch unglaubwürdig oder eindimensional sind. Im Gegenteil, es stellte sich direkt ein vertrautes Gefühl ein. Gleichzeitig erwartete ich keine große Überraschung mehr. Weder die Entwicklung der Charaktere betreffend, noch die der Handlung. Es war alles schön geschrieben, aber zu vorhersehbar.

Never change a running system

Schön geschrieben ist es übrigens tatsächlich. Es macht Spaß, der Geschichte zu folgen, mit Sam mitzugehen und zusammen seine Gedanken zu wälzen. Und die eingangs beschriebene Sommerhitze ist auf jeder Seite deutlich zu spüren. Kurzum, der Sog in die Geschichte, den Leser*innen wie ich nunmal gern haben, funktioniert tadellos. Aber muss man denn unbedingt innerhalb eines Sommers erwachsen werden? Oder sich so fühlen? Und warum bedarf es so oft einer märchenhaften Mädchengestalt, die dazu beiträgt oder eines vorhergehenden ausgiebigen Außenseitertums? Diese Fragen dem Autoren zu stellen, ist eventuell ein bisschen unfair, er hat die benannten Elemente ja zu einem funktionierenden Ganzen zusammengefügt, Dennoch ist das Gefühl nach Beendigung des Buches ein bisschen naja …

Aber allen, die Lust auf einen Jugend-Sommerroman haben oder sowieso Fans des Genres mit all seinen Eigenheiten sind, sei Hard Land wärmstens ans Herz gelegt. Die eigentliche Überraschung des Ganzen ist übrigens: Autor Benedict Wells ist gar kein Amerikaner. Aber das Buch wirkt verdammt amerikanisch. Und das macht auch Spaß.

Interessiert? Hier die Fakten:

Titel Hard Land
Autor Benedict Wells
Seiten 352
Ausstattung Hardcover
Verlag  Diogenes
Jahr 2022

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