Neulich habe ich in einer Bücherverschenkebox zwei SF-Bücher rausgezogen. Sie sind noch aus DDR-Zeiten und solche Bücher nehme ich immer mit. Diese SF ist einfach anders, vor allem meist keine Endzeitutopien mit allen möglichen bösen, widerwärtigen und antimenschlichen Lebewesen. Das tut gut.
Und so lese ich jetzt Das Rätsel Sigma von Karl-Heinz Tuschel. Schön ist gleich der zweite Satz: „Der Mai des Jahres 1996 hatte bis Mitte der Woche nur Kälte und Regen gebracht, einmal war sogar so etwas wie Schnee auf die mecklenburgische Stadt Neuenwalde herabgerieselt.“ Das Buch ist von 1974 und da war ’96 natürlich Zukunft, während wir a) wissen, dass da schon die Mauer gefallen war und sich b) die Welt ganz schön weiterentwickelt hat, auch technisch.
Bisher (ich bin auf Seite 43) dreht sich das Buch um Herbert Lehmann, der an der Aufklärung plötzlicher Schlafanfälle arbeitet: In Neuenwalde fallen im besagten Mai mehrere Menschen urplötzlich in Schlaf und sind nicht mehr wachzukriegen. Keiner weiß, wieso. Lehmann ist Mathematiker und leitet das „mathematische Büro“ in der „Bezirksinspektion für Umweltschutz“ in einer mecklenburgischen Bezirksstadt.
Auf den „paar“ Seiten, die ich bisher gelesen habe, gibt es schon ein paar tolle Ideen: In Tuschels 1996 ist der „benzinlose Stadtverkehr“ Realität. Das heißt, in allen Städten stehen E-Autos für alle Bürger bereit. Die Autos sind offen, man kauft sich Marken, von denen man eine in einen Schlitz im Auto wirft, dann kann man fahren. Benziner stehen dann in Garagen am Stadtrand, mit ihnen kann man bei Bedarf weiterfahren bzw. ein Fahrer fährt einen.
In der Welt Herbert Lehmanns ist auch schon überall Glasfaser verlegt und Videoanrufe sind für die Menschen das normalste der Welt. Ich erinnere mich daran, Anfang der Neunziger an der Uni an Tests zur „Bildschirmtelefonie“ teilgenommen zu haben und wir dümpelten gerade mal mit Modems herum …
Auch das aktuell viel diskutierte Plastikproblem haben die Menschen in Das Rätsel Sigma fast im Griff: Als man nämlich mehr und mehr Plaste produzierte, stellte die Welt fest, dass es ein Abfallproblem geben würde – und dass man sich damit beschäftigen müsse. So wurden verschiedene Methoden der Verrottung entwickelt und Anfang der 90er entschieden, bei der Produktion von Plastik gleich seine Entsorgung mitzudenken. Heute, 2018, heißt das cradle-to-cradle – und kaum ein Hersteller von irgendetwas scheint sich dafür zu interessieren.
Im Buch arbeitet Lehmanns Frau Wiebke daran, ein neuartiges Plastik ordentlich abzubauen: Gleich mit der Einführung von „Betalon“ wurden Bakterien gezüchtet, die den Stoff so zersetzen können, dass man aus dem Restprodukt wieder neues „Betalon“ machen kann. In der Realität schaffen wir es gerade mal zu Tragetaschen, Fleecepullis und T-Shirts … die aber höchstens noch zu Sargfüßen weiterverarbeitet werden können. Das ist natürlich besser als verbrennen – aber wie schön wäre eine andere Lösung …
Nach meinen knapp 40 Seiten Lektüre bin ich ziemlich beeindruckt, was Tuschel sich schon 1974 ausgedacht hat – zu einer Zeit, in der sich die meisten Menschen noch kaum Gedanken zu all diesen Themen gemacht haben. Es wäre toll gewesen, wenn wir hüben wie drüben schon 1996 Internet, Handys und E-Autos und einen voll funktionsfähigen Plastikkreislauf gehabt hätten.
Was ich denke ist, dass man die Entwicklung manches Mal nicht schneller machen kann. Aber wenn der Mensch sich schon Sachen ausdenken kann, so wie Tuschel es getan hat, dann wäre es manches Mal toll, wenn das Denken auch gleich zu Forschung und Entwicklung führen würde. Vor allen Dingen bei den nützlichen Dingen und nicht nur bei Waffen etc.
Mal sehen, wie es weitergeht im Buch. Vielleicht ist ja die Plasteproduktion schuld an der Schlafkrankheit oder das AKW, aus dem die ersten Fälle kamen.